„Ich vermisse die Kollegen, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis in der Redaktion“, sagt Sascha Müller auf die Frage, wie er auf sein altes Leben als Sportjournalist zurückblickt. Und manchmal, räumt er ein, würde er auch gerne wieder über Trainerwechsel in der Dritten Liga oder über Muskelfaserrisse schreiben, statt sich über die großen politischen Probleme den Kopf zu zerbrechen. „Aber man hat wenig Zeit, über so etwas nachzudenken.“ Denn das Leben als Bundestagsabgeordneter sei intensiv, verrät Müller.
Die mittelfränkische Fachgruppe Medien, Journalismus, Film hat den Politiker von Bündnis 90/Die Grünen unter dem Motto „Seitenwechsel“ zu ihrer Mitgliederversammlung eingeladen– schließlich ist er vom Fach. Müller hat 24 Jahre, von 1997 bis 2021, in der Onlineredaktion des „kicker-Sportmagazins“ gearbeitet, hat diese damals mitaufgebaut und sein Politikstudium dafür abgebrochen, erzählt er im Interview mit Fachgruppenvorstandsmitglied Klaus Schrage. Parallel engagierte er sich ehrenamtlich bei den Grünen – unter anderem von 2011 bis 2021 als Landesschatzmeister.
Und Müller kandidierte bereits 2017 im Wahlkreis Nürnberg-Süd/Schwabach für den Bundestag, damals aber auf Listenplatz 16, der unter den damaligen Voraussetzungen absehbar nicht reichen sollte. „Das war eher ein Testlauf“, erinnert sich Müller. 2021 aber waren die Vorzeichen ganz andere, denn da ging er wiederum auf dem sicheren sechsten Rang ins Rennen, konnte dem Bundestag also gar nicht entgehen, wie Schrage süffisant anmerkt. „Offensichtlich hat es die Partei mir zugetraut“, sagt Müller. Mit Anfang 50 entschied er sich, die Herausforderung anzunehmen und „noch einmal etwas anderes zu machen“.
Damit es auch etwas völlig anderes wird, habe er sich „mit Händen und Füßen dagegen gewehrt“, in den Sportausschuss zu kommen. „Ich habe die Gefahr gesehen, von einem Ex-Kollegen interviewt zu werden.“ Um einen stellvertretenden Sitz sei er dennoch nicht herumgekommen. Einen festen Platz hat er wiederum im Finanzausschuss des Bundetags: „Ich interessiere mich für Zahlen und die Systeme dahinter.“
Freilich kommt Müller als Mitglied einer Regierungspartei nicht um eine Frage über den Dauerstreit in der Ampelkoalition herum. Es gebe Uneinigkeit, klar. „Das ist aber in jeder Koalition so.“ Und letzten Endes habe man sich ja doch immer wieder geeinigt. Aber die Außendarstellung müsse besser werden, räumt der 54-Jährige ein. Müller, der 1988 bei den Grünen eingetreten ist, kann sich noch gut an die Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre erinnern. „Das war eine andere Zeit.“ Er ist überzeugt, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine richtig sind. „Man kann da nicht zuschauen.“Denn niemand wisse, wo das „großrussische Reich“ endet, wenn man Russland gewähren ließe.
Was AfD und Co. angeht, appelliert Müller an die demokratischen Kräfte, hier keine taktischen Konzessionen zu machen. „Immer wenn Parteien der aus der Mitte Themen der Ränder übernehmen, geht es nach hinten los.“ Großer Gewinner der bayerischen Landtagswahl sei schließlich nicht die CSU gewesen, sondern die AfD.
Bei der Schuldenbremse hält der Finanzpolitiker eine Reform für unumgänglich, wenn man die Herausforderungen der Zukunft meistern will – zu denen vor allem der Klimawandel gehört. Bei allen polemischen Debatten um vermeintliche „Heiz-Hämmer“ dürften die Bürger nicht die Augen verschließen, „dass sich etwas verändern muss“, will man die Klimakatastrophe abwenden. Ob eine nachhaltige Umweltpolitik im Kapitalismus überhaupt funktionieren kann, will ein ver.di-Kollege wissen. „Es geht nicht, dass wir erst den Kapitalismus abschaffen müssen, um Klimaschutz zu schaffen. Dafür fehlt uns die Zeit. Es muss in der Marktwirtschaft gehen.“
Doch bei aller Ernsthaftigkeit in der politischen Diskussion sorgt schon der launige Fragensteller Schrage dafür, dass der Abend auch unterhaltsam bleibt. So kommt der langjährige mittelfränkische dju-Chef auf Müllers Vita zu sprechen – bei dem Allerweltsnamen ist es nicht offensichtlich, dass es sich bei Sascha Müller um den Sohn des „Helden von Essen“ handelt, der historisch bewanderten Fans des 1.FC Nürnberg freilich ein Begriff ist. Manfred Müller, Club-Torwart von 1976 bis 1979 sowie 1986/87, hat im Jahr 1978 mit einem gegen Horst Hrubesch parierten Strafstoß im Aufstiegsspiel bei Rot-Weiss Essen maßgeblich dazu beigetragen, dass der 1.FCN nach neun Jahren Zweitklassigkeit wieder die Rückkehr in die Bundesliga schaffte. „Das war der einzige Elfmeter, den er jemals in einem Pflichtspiel gehalten hat“, sagt Sascha Müller über seinen Vater. Er selbst habe damals aus der Kinder-Perspektive die Dimension des Spiels noch nicht so recht begriffen. „1982 habe ich dann aber gewusst, um was es geht.“ Damals hat Manfred Müller, nun im Trikot von Bayern München, den DFB-Pokal gewonnen – mit einem 4:2-Sieg gegen den 1.FC Nürnberg.
Nach vielen interessanten Einblicken betätigt sich ver.di-Mitglied Sascha Müller schließlich als Losfee beim Projekt „Rat der 25“. Der Fachgruppenvorstand möchte im Herbst 25 ausgeloste Fachgruppenmitglieder einladen, um bei Imbiss und Getränken über ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit zu diskutieren. Der Bundestagsabgeordnete sorgt dann noch für die Pointe des Abends, in dem er auch das Los mit seinem Namen zieht. Insofern könnte es bald ein Wiedersehen geben. Den Fachgruppenvorstand würde es freuen. MP